24.08.2018 Gebraucht, aber nur geduldet

24.08.2018

Enkeleta lernt in Bonn den Beruf der Pflegefachkraft

Heute hat Frau Müller frei und liegt unbeachtet in der Ecke. Das ist kein Problem für sie. Denn Frau Müller ist ein Pflege-Dummy. Eine Kunststoffpuppe, die sich sogar mittels Perücken und speziellen, geschlechtsspezifischen Applikationen in Herrn oder Frau Müller verwandeln lässt – je nach Unterrichtsthema.

Die jungen Frauen und Männer, die im Unterrichtsraum 1 des Bonner Vereins für Pflege- und Gesundheitsberufe lernen, sind fortgeschritten und üben am lebenden Objekt. Auf der Behandlungsliege lässt sich eine Mitschülerin verarzten. Es geht um die Versorgung einer Verletzung am Oberarm. Ist die Kompresse richtig angelegt? Schnürt der Verband die Durchblutung ab? Wird die Pergamenthaut der Patientin womöglich verletzt? Selbst bei scheinbar einfachen Handgriffen ist Fachwissen gefragt und viel Übung vonnöten.

Über beides verfügt Enkeleta Cengu. Die 32-Jährige ist 2015 zusammen mit Mann und Tochter aus Albanien nach Deutschland gekommen. „Für uns gab es keinen anderen Weg. In Albanien konnten wir nicht länger bleiben“, sagt Enkeleta. Und so kam die junge Familie über Pristina, Hauptstadt des Kosovo, nach Düsseldorf, Dortmund und schließlich nach Bonn.

Dort erfuhr sie vom MüMi-Angebot des Bonner Vereins für Pflege- und Gesundheitsberufe. MüMi steht für das Projekt „Mütter mit Migrationshintergrund steigen ein“. Seit 2015 eröffnet es Frauen mit Migrationshintergrund neue berufliche Perspektiven. „Unabhängig von bestehenden Qualifikationen haben sie die Chance auf eine praxisnahe Ausbildung und danach einen sicheren Arbeitsplatz mit attraktiven Aufstiegsmöglichkeiten. Außerdem bieten wir während der Orientierungsphase eine Kinderbetreuung im Haus an“, sagt MüMi-Projektleiterin Heidemarie Jeep.

Enkeleta, die in ihrem gelernten Beruf als Lehrerin für Albanisch und Geschichte in Deutschland keine berufliche Perspektive gehabt hätte, musste nicht lange überlegen. „Mir liegt der Umgang mit Menschen am Herzen. Der Beruf als Pflegefachkraft eröffnet neue Möglichkeiten und sichert mir und meiner Familie eine bessere Zukunft“, bringt sie ihre Perspektive auf den Punkt.

Das Besondere an MüMi ist die Betreuung der Pflegeschülerinnen durch einen festen Ansprechpartner des Bonner Vereins. Vom ersten Kontakt bis hin zur Arbeitsstelle.

MüMi beginnt mit einem persönlichen Beratungsgespräch, gefolgt von einer zeitlich flexiblen Orientierungsphase mit Deutschunterricht und der Möglichkeit, einen qualifizierten Schulabschluss abzulegen. Der ist Voraussetzung für die nachfolgende Berufsausbildung. Während der Qualifizierungsphase erhalten die Teilnehmerinnen ihre Ausbildung, die nach einem Jahr in den Beruf der staatlich anerkannten Altenpflegehelferin abschließt oder nach drei Jahren mit dem Abschluss der staatlich anerkannten Altenpflegerin endet.

Nicht nur die Schüler selbst, auch ihre Ausbildungseinrichtungen erhalten Unterstützung bei der Aufgabe, Flüchtlinge zu integrieren, zu qualifizieren und gleichzeitig den Personalmangel in der Pflege zu verringern. „Viele Einrichtungen haben Fragen und brauchen sowohl praktische als auch politische Unterstützung“, erklärt Oliver Baiocco vom Landesverband des Paritätischen in Nordrhein-Westfalen. Er leitet das Projekt „welcome@healthcare“ – „Willkommen in der Gesundheitspflege“. Dürfen wir Flüchtlinge einstellen? Wie lange werden sie bleiben dürfen? Werden sie traumatische Ereignisse erlebt haben? Wie können wir uns als Team und Arbeitgeber auf eine neue Interkulturalität einstellen? Wie integrieren wir eine berufsbezogene Sprachförderung? Das Team des Projektes sorgt für Vernetzung, stellt Informationsmaterial zusammen, organisiert Tagungen, Fortbildungen, recherchiert erfolgreiche Modelle und Träger wie den Bonner Verein, die über ihre Erfahrungen berichten können.

Deutschland hat ein erhebliches Pflegeproblem und gut qualifizierte Leute werden händeringend gesucht. Und so muss sich Enkeleta auch keine Sorgen um ihre berufliche Zukunft machen. Denn viele Pflegeeinrichtungen in der Region stehen mit dem im Jahre 2000 gegründeten Bonner Verein in Kontakt und engagieren die erfolgreichen Absolventen quasi von der Schulbank.

Auch mit dem zu erwartenden Gehalt kann Enkeleta leben. Zwar gibt es keine einheitlichen tariflichen Regelungen, doch im öffentlichen Dienst werden während der Ausbildung zwischen 1040 und 1200 Euro bezahlt, als Berufseinsteiger erhält man nach Angaben des Deutschen Caritasverbandes im ersten Jahr ein Brutto-Monatsgehalt von 2.721 Euro einschließlich Pflege- und Schichtzulage.

Da Albanien als sicheres Herkunftsland gilt, wurde das Asylgesuch der Familie abgelehnt (Das stimmt so nicht. Bitte streichen)

Enkeleta erhielt für ihr Ausbildung zur Altenpflegerin eine sogenannte Ausbildungsduldung. Ihr Mann, der in Albanien bei der Feuerwehr gearbeitet hatte, hat eine Ausbildung zum Maler begonnen. Und wenn alles gut läuft, wird Enkeleta ab 2020 zwei Jahre lang als ausgebildete Pflegefachkraft arbeiten dürfen.

Wie es danach weitergeht ist noch offen. Es sei denn, die Politik kann sich auf ein Einwanderungsgesetz einigen, das nicht nur den begabten jungen Menschen mit Migrationshintergrund neue Perspektiven aufzeigt, sondern auch die Situation für Patienten in Altenheimen und Krankenhäusern erheblich verbessern würde.

Bei ihren verschiedenen Praktika in einem Seniorenzentrum in Bornheim bei Bonn hat Enkeleta nicht nur praktische Erfahrungen gesammelt, sondern auch erlebt, wie wichtig ihre Arbeit ist. „Alle mögen mich und das ist doch wunderschön. Die alten Menschen haben mich voll und ganz akzeptiert. Vorurteile gibt es nicht.“ Und das ist nicht nur gut so, sondern hat in Deutschland eine gewisse Tradition. „Die Pflege war schon immer bunt. Man denke nur an die philippinischen Krankenschwestern, die in den 70er-Jahren kamen“, sagt Birgit Schierbaum, beim Bonner Verein zuständig für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit.

„Der Weggang aus der Heimat ist uns nicht leicht gefallen“, sagt Enkeleta. Doch ein bisschen Albanien konnte sich die (bitte nicht den Nachnamen nennen) Familie erhalten. An Pita, Bifteka und Byreck beispielsweise führt beim gemeinsamen Abendessen kein Weg vorbei. Schade nur, dass Frau Müller der deftigen Balkanküche so gar nichts abgewinnen kann …

Weitere Informationen beim Bonner Verein unter www.bv-pg.de sowie dem Paritätischen unter www.paritaet-nrw.org und beim welcome@healthcare-Projekt www.healthcare-nrw.de

Ihre Ansprechpartnerin:

Birgit Schierbaum
Leitung Marketing & Öffentlichkeitsarbeit
schierbaum@bv-pg.de
Tel: 0228-965454-0